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Foto: © Dirk Ostermeier
Foto: © Dirk Ostermeier

Branchentrends

Der Gastro-Flüsterer

Als Trendexperte für die Hospitality-Branche reist Pierre Nierhaus um den Globus. Im Interview erzählt er, was die Gastrowelt bewegt, wo Frankfurt die Nase vorn hat – und wo eher nicht.
JOURNAL FRANKFURT: Herr Nierhaus, 2001 bezeichnete die Bild-Zeitung Sie als einen der fünf Frankfurter „Könige der Nacht“. Neben anderen Gastronomien betrieben Sie damals mit Gerd Schüler das Living XXL. Heute haben Sie die Seiten gewechselt, analysieren, schreiben Fachbücher und beraten die Hospitality-Branche als Trendexperte. Wie kam es dazu?
Pierre Nierhaus: Ich wollte immer Gastgeber sein, habe dann Hotelfach gelernt, bevor ich zum Filmmarketing gewechselt bin und schließlich Anfang der 1990er-Jahre mit 26 Jahren in Bockenheim das Café au Lait eröffnet habe. Nach und nach wurden es dann immer mehr Lokale. Irgendwann hatte ich gleichzeitig dreizehn Betriebe. Anfang der 2000er habe ich mich dann von allen bis auf das NYC in Sachsenhausen getrennt. Zu dem Zeitpunkt bin ich bereits viel um die Welt gereist und habe für andere Leute Konzepte entwickelt. Damals habe ich gemerkt, dass ich die globalen Gastrotrends gut aufnehmen und für andere übersetzen kann. Heute beobachte ich 30 Metropolen weltweit und veranstalte Trendtouren nach New York, Chicago, Tokio, Bangkok, Kopenhagen und Berlin.

Was ist das Ziel dieser Touren?
Ich helfe meinen Kunden, ein zeitgemäßes Projekt erfolgreich planen zu können. Ich war zum Beispiel mit Kunden in New York, die eine Foodhall bauen wollen, um zu zeigen, was möglich, aber auch was notwendig ist. Denn ob ein Projekt sinnvoll ist, kann man nur entscheiden, wenn man verstanden hat, wie und wo ein bestimmtes Konzept funktioniert und warum. In New York laufen Foodhalls unter anderem deshalb mittags so gut, weil es dort keine Betriebskantinen gibt. Wir haben hier aber Kantinen. Das sind wichtige Mitbewerber im Lunchgeschäft. Gleichzeitig bedienen Foodhalls den Trend, dass das Snacken am Mittag immer populärer wird. Da darf’s dann gerne digitaler, schneller und einfacher sein. Das macht das Thema Foodhall wieder interessant für den deutschen Markt.

Trends lassen sich also nicht eins zu eins importieren?
Nein. Dennoch können wir in Großstädten wie London oder New York Trends beobachten, die später zu uns kommen werden. Das hängt damit zusammen, dass wir hier vergleichbare Gentrifizierungsprozesse erleben und ähnliche urbane Verhältnisse haben, mit langen Arbeitswegen aus den Wohngebieten in der Peripherie. Darüber hinaus ist eine so multikulturelle und internationale Stadt wie Frankfurt mit einem so hohen finanziellen Niveau viel mehr mit diesen Metropolen vergleichbar als andere eher konservative deutsche Städte wie beispielsweise München oder Städte in den neuen Bundesländern.

In Ihrem Buch, „Reich in der Gastronomie“, unterscheiden Sie zwischen Moden und Trends. Wo liegt der Unterschied?
Eine Mode ist eine kurzfristige Erscheinung, wie eine Sommermode. Wenn etwa plötzlich alle Aperol-Orange trinken wollen, ist das eine Mode. Dass sich die Leute daran gewöhnt haben, sich nachmittags zum Apéro oder Aperitivo zu treffen, das ist ein Trend. Anders gesagt, nach einer Mode gestalte ich meine aktuelle Karte, nach einem Trend ein ganzes Gastro-Konzept. Hintergrund dieser Trends, das sind Megatrends, also langzeitliche Trends oder gesamtgesellschaftliche Strömungen. Ein Beispiel wäre das Thema Nachhaltigkeit, das sich in der Gastronomie in Form von zunehmend größeren vegetarischen und veganen Angeboten fortsetzt. Solche Trends kann man als Betrieb nicht ignorieren.

In Ihrem jährlichen Trendreport fassen Sie diese Entwicklungen für die Branche zusammen. Was sind die wichtigsten Trends in diesem Jahr?
Es ist wichtig, zu verstehen, dass sich nicht jedes Jahr alles ändert. Das gilt auch beim Essen. Weiterhin erfolgreich sind traditionelle, regionale und mediterrane Küche, jetzt erweitert um den levantinischen Raum, sowie die Küchen Asiens, wobei die unterschiedlichen Länderküchen heute differenzierter wahrgenommen werden. Einen neuen Trend haben wir mit Südamerika und peruanisch-japanischer Nikkei-Küche. Zudem kommt Mexikanisch wieder, aber jetzt in frisch. Auch der Trend zum ausgedehnten Frühstück nimmt weiter zu. Entscheidender für die Branche sind aber andere Themen.

Im Report sprechen Sie von einer „Revolution inside“, einer Neuaufstellung angesichts der Folgen der Pandemie und des Kriegs in der Ukraine. Worum geht es dabei?
Wir müssen anders wirtschaften als früher. Um steigende Kosten kompensieren zu können, müssen sich Betriebe viel klarer positionieren. Das bedeutet, weniger und dafür bessere Produkte auf die Karte setzen. Das vereinfacht die Produktion und spart Mitarbeiter. Der Trend zum Sharing und Family-Style spart ebenfalls Manpower, da nicht diverse Tellergerichte gleichzeitig serviert werden müssen, sondern die Gerichte zum Teilen nach und nach an den Tisch kommen. Ganz wichtig ist das Thema Digitalisierung: Früher war das nur die Kasse. Später war es das Reservierungs-Tool. Heute kann ich das Bestellwesen, die Warenwirtschaft, das Kassensystem und meine Wochenkarte im Netz kombinieren. Das spart Zeit. Durch digitale Tools sehe ich auch, wo ich Lebensmittel verschwende und wo ich meinen Abfall verringern kann. Das nützt mir wirtschaftlich und ist nachhaltig. Um auch in Zukunft wirtschaftlich arbeiten zu können, müssen sich Betriebe digitalisieren, wenngleich ich auch sage, dass ein Gastgeber und das Erlebnis in der Gastronomie analog bleiben müssen.

Wo liegen Frankfurts Schwächen und Stärken, gastronomisch gesehen?
Was ich vermisse ist traditionelle Küche. Klar, in Frankfurt haben wir Apfelweinlokale und Edelwirtschaften. Was ich meine, sind moderne Lokale mit guter bürgerlicher Küche auf moderatem Preisniveau. Was ich mir zudem wünschen würde, ist mehr spektakuläre inszenierte Gastronomie wie früher das Holbein’s oder heute die Restaurants der Mook-Gruppe. Davon bräuchten wir in einer Stadt wie unserer mehr. Was Frankfurt am besten kann, ist Vielfalt – und das auf jedem Niveau. Da kann sich selbst Berlin eine Scheibe von abschneiden. Auch was das To-go-Angebot an praktischem und gesundem Essen am Mittag anbelangt, sind wir weiter als andere Städte. Und schließlich die kleinen Lokale in Vierteln wie Bockenheim oder Bornheim, das hat keine andere Stadt in der Fülle. Deshalb mein Apell: individuelle Gastronomie unterstützen! Nicht nur, weil es immer mehr Ketten geben wird. Gastronomie ist der Klebstoff der Gesellschaft, denn wenn Essen verbindet, sind Gastronomien Begegnungsorte. Sie machen ein Häusermeer zu einem Wohnort und die Innenstädte lebendig. Das müssen wir uns erhalten.
 
7. März 2023, 09.10 Uhr
Sebastian Schellhaas
 
 
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