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Winzerportrait
Der Architekt des Weines
Foto: Tom Bock
Tom Bock
Wein, Architektur, Gastronomie – das passt gut zusammen, ist aber theoretisch Arbeit für mindestens drei. Tom Bock macht zwar nicht alles allein, hält aber alle Schnüre in der Hand.

„Das Äußerste liegt der Leidenschaft zu allernächst“ – Goethe wird immer wieder gern zitiert, aber hier liefert Frankfurts liebster Dichter eine Steilvorlage. Wenden wir uns zunächst der Toskana zu, wo der Weinbau in den letzten Jahrzehnten gravierende Veränderungen erfahren hat. In den70er Jahren ruinierte man den Ruf des Chianti und somit der gesamten Region nachhaltig mit Billigfusel in Korbflaschen. Als Ausweg aus der Krise setzten einige Winzer mit sogenannten „Designerweinen“ zunächst ein Zeichen und erzeugten aus Rebsorten, die vornehmlich aus Frankreich importiert wurden, unter der niedrigsten Qualitätsbezeichnung Vino da Tavola Weine, die international Furore machten. Mit der Geburtsstunde von Tignanello, Sassicaia, Ornellaia oder Solaia wurden jedoch auch jahrhundertealte Traditionen in Frage gestellt. Neue Weinbautechnik kam ins Land, der Geschmack ferner Märkte bestimmte jetzt die Art und Weise, einen Wein auszubauen. Nachdem sich auch noch der letzte kleine Winzer an Cabernet Sauvignon versucht hatte, begann schließlich die Rückbesinnung auf das, was man mit Wein aus der Toskana verbindet: Sangiovese, die Leitrebsorte der Region. Heute haben viele Weinmacher den Turnaround geschafft, ohne jedoch in alte Gewohnheiten zu verfallen. Und hier beginnt auch unsere Geschichte von Tomilaia, dem kleinen Weingut im winzigen Weiler Grimoli in der Nähe von Cavriglia. Geblieben ist nämlich auch das Bewusstsein für Individualität. Kaum ein Winzer der Toskana verlässt sich noch ausschließlich auf das ehedem so populäre Label Chianti. Im Classico-Gebiet südlich von Florenz macht das vielleicht noch Sinn, doch in den zahlreichen Unterregionen macht man sich die neue IGT zunutze und produziert Weine, die sowohl ihren regionalen Ursprung als auch ihren „Macher“ repräsentieren. So auch auf Tomilaia.


Die deutsch-itaienische Familie von Tom Bock betreibt bereits seit langer Zeit Landwirtschaft. Von den aktuell annähernd 50 Hektar Land stehen 19 mit Reben und Oliven unter Ertrag, das hieraus gewonnene Öl und Wein sind hier die Früchte der Arbeit. Geboren wurde Bock jedoch in Frankfurt, um anschließend ein Leben zwischen Hessen und Toskana zu führen. Was heute angesichts bestens ausgebauter Verkehrswege kein Problem darstellt, war früher natürlich deutlich mühseliger, doch Identität stiftend war für Bock weder die Mainmetropole noch Florenz, Siena oder sein Heimatdorf. Es war und ist heute noch die Balance, die Verbindung von Nord und Süd, die ihn fasziniert und inspiriert. Schon in der Geschichte beider Länder finden sich zahlreiche Verbindungen, und so lebt der zurückhaltende Mann wie ein Europäer und Kosmopolit – heute hier, morgen dort, aber immer Zuhause.  


Wenn ein erdverbundener Mensch studiert, so bedeutet das zunächst ein völlig neues Leben. Tom Bock hat jedoch nie den Faden zu seiner Heimat abreißen lassen. Selbst als anerkannter, ja berühmter Architekt, der Projekte in Kuweit, auf den Balearen, in Italien oder London realisiert hat und dem die Stadt Frankfurt beispielsweise das Florentinische Viertel verdankt, bezeichnet er sich als Landwirt. Außerdem ist er mit den Restaurants Biancalani, der zugehörigen Bar und der neu eröffneten Enoteca „A Casa di Tomilaia“ noch Gastronom, was die wenigsten wissen, denen er mal hier, mal dort begegnet. Die Frage des „entweder-oder“ stellt er sich nicht: „Ich bin sowohl als auch!“, und so orientiert sich das Multitalent Tom Bock nicht nur in Sachen Architektur an der Renaissance. „Damals konnte sich auch keiner auf einen Beruf konzentrieren. Heute war man Goldschmied, morgen Architekt und übermorgen bestellte man seinen Garten. So behielt man den Blick fürs Ganze.“ Und dieser Blick ist bei ihm durchaus kritisch und geschärft. „Wenn ich das Gefühl habe, ein anderer macht den Job schlechter als ich, dann mache ich ihn lieber selbst“. Also packt Bock sowohl auf seinem Weingut als auch bei der Planung oder sogar auf der Baustelle eines seiner Projekte oft mit an und betreut seine Kunden sogar noch nach dem Einzug. „So behalte ich immer im Blick, was geschieht“. Akribie? Pure Leidenschaft!


Der Wein, den  eine solche Persönlichkeit erzeugt, fällt dementsprechend aus: Kraftvoll, dicht, konzentriert, aber nie vulgär, sondern immer fein gewoben und von großer Ausdruckskraft. Dass solche Gewächse nicht von jetzt auf gleich geboren werden, ist nicht nur Bock, sondern auch seinem Freund und Partner Heinrich Prefi und allen anderen Beteiligten völlig klar. So wurde das Weingut in den letzten Jahren bereits behutsam, aber zielstrebig modernisiert. Die Idee ist scheinbar einfach: „Wir sind ein Sangiovese-Weingut. Das ist unsere Identität“. Was nicht bedeutet, dass man hier stur auf Tradition setzt. Sangiovese piccolo und grosso (auch als Brunello bekannt) geben zwar die Richtung vor, Malvasia nera, Ciliegiolo, Merlot, Syrah und sogar Riesling spielen aber ebenfalls eine wichtige Rolle bei der Erzeugung der ungewöhnlichen Weine von Tomilaia. Diese Rebsorten sollen jedem Wein seine eigene, individuelle Sprache geben. Bei internationalen Rebsorten denkt man schnell an die Weine des Bordelais, die vielen Winzern der Toskana lange Vorbild waren. Tom Bock und sein Team orientieren sich jedoch weniger an deren erdiger Kraft, sondern vielmehr an der ätherischen, eleganten Art des Burgunders, und so setzt er auch mehr auf Finesse denn auf Wucht – obwohl einige seiner Tropfen bis zu 15\% Alkohol erreichen. Damit das gelingt, wachsen die zum Teil über 60 Jahre alten Reben in perfekt gepflegten Weinbergen, von denen einige sogar noch nach alter Weise quer zum Hang bepflanzt sind.


Das Terroir der auf bis zu 380 Metern Höhe ansteigenden und meist nach Süd/Südwest ausgerichteten Weinberge steht im Mittelpunkt der Arbeit. Die Mischung aus verwittertem Sandstein, Gallestro, Mergel und Lehm liefert jene Buchstaben und Sätze, aus denen Tom Bock später seine flüssigen Geschichten in Flaschen abfüllt. Direkt unter den Weinberg wurden die Keller unterirdisch angelegt, drei unterschiedliche Gärführungen sorgen hier für den enormen Nuancenreichtum der Weine. So scheut man sich hier auch nicht davor, einige Weine spontan, also mittels der auf der Beerenhaut siedelnden Hefestämme zu vergären, setzt bei anderen Weinen aber auf Reinzuchthefen und die temperaturgeregelte Gärung in Stahltanks oder arbeitet sogar mit offener Vergärung in kleinsten Gebinden. Bis zu ein Jahr kann diese Phase dauern, bevor der Wein dann im Holzfass-Reifelager und nach der Zusammenstellung der unterschiedlichen Cuvees schließlich im Flaschenlager eintrifft. Was jetzt nach einem Großbetrieb klingt, ist in Wirklichkeit eher übersichtlich. „Zur Zeit haben wir 7 Hektar Wein und 12 Hektar Oliven unter Ertrag, hinzu kommen 6 Hektar, die wir gepachtet haben. Später sollen es maximal 20 Hektar Weinberge sein“. Was für toskanische Verhältnisse nicht gerade groß ist, doch Tom Bock möchte lieber hochwertige Weine in kleinen oder sogar kleinsten Auflagen für Kenner erzeugen, als beim Spiel der Großerzeuger mitzuspielen.


Da bleibt auch Platz für Spezialitäten, die sonst niemand in dieser Region erzeugt. Zum Beispiel eine süße Spätlese aus Trebbiano, Malvasia bianco, Sauvignon blanc und Riesling, von dem ein paar Rebstöcke in seinem Wingert stehen und dem eleganten, feinfruchtigen und dennoch üppigen Wein die fehlende Säure geben. Gerade mal 800 Flaschen füllt man hier davon ab, die natürlich schnell vergeben sind, doch auch von den anderen Weinen gibt es nicht viel, und so müssen die Gäste im Frankfurter A Casa di Tomilaia oft auf den ein- oder anderen Wein verzichten, wenn der aktuelle Jahrgang ausgetrunken und der neue noch nicht abgefüllt ist. Die Reduzierung auf kleine Mengen gehört zum Konzept: So behält man den Überblick und hat immer Platz für Neues, Unerwartetes. Eine Cuvee wie der 2000Otto (also 2008) wird man wohl kaum bei einem anderen Erzeuger finden, denn hier geht es nicht um Uniformität, sondern um die Idee eines absoluten Spitzenweines, der seinen Jahrgang ideal repräsentiert. Und da jedes Jahr anders ist, wechselt auch die Zusammensetzung der Rebsorten mit jedem Jahrgang. Und um es noch deutlicher zusagen: Hier tritt der Winzer gänzlich hinter das Terroir und die Rebe zurück und bemüht sich, das Beste aus dem zu machen, was beide zu bieten haben. Der PANCARTA hingegen ist ein „Sangiovese in purezza“, der weit über dem steht, was der anspruchslose Weintrinker als unkomplizierten Tropfen für jeden Tag bezeichnet, aber genau jenen Ansprüchen genügt, die ein Tom Bock an guten Wein stellt. Hier geben die ältesten Reben des Weinguts ihr Bestes – und das ist viel Struktur, Kraft, Finesse, Würze und jene aromatische Vielschichtigkeit, die einem reifen Sangiovese zueigen ist. Weicher, aber keinesfalls oberflächlicher präsentiert sich die in der Toskana immer populärer werdende Verbindung von Sangiovese und Syrah. Der DILÀeDILÀ, ein Joint Venture von Tom Bock und dem Weingut von Stefano Amerighi  – jeder steuert 50\% der Reben bei – verbindet robuste, körperreiche Struktur mit einer Seele aus Samt und gehört zu den modernsten Weinen der Region. Wer jetzt noch nicht bemerkt hat, dass Tom Bock auch bei den Namen eigene Wege geht, der wird spätestens beim HASH ISH hellhörig. Diese Cuvee aus Sangiovese und Merlot ist natürlich absolut legal, erinnert im Duft aber tatsächlich an Cannabis und verführt mit saftiger, an Gewürze erinnernder Tiefe. Hier wird ein Teil der Sangiovese-Trauben nach Art eines Passito getrocknet, wie man es eigentlich vom Amarone kennt, und später dem gärenden Wein hinzugegeben. So entsteht jene herrlich feine Süße, die nie vordergründig, sondern samtig und elegant das reiche Aromenspektrum dieses Weines transportiert – ein eleganter Maestro der Philosophie und der edlen Kunst der Verführung. Eine ganz andere Geschichte erzählt der STORIA, eine Cuvee aus unterschiedlichen großen Jahrgängen, die mindestens 8 Jahre in Holzfässern reifen, anschließend miteinander vermählt und schließlich in einer Auflage von 888 Magnum- und 88 Imperial-Flaschen abgefüllt werden. Hier spielen die Weine von Tomilaia ihr volles Potential aus, denn in einer Zeit, die junge Weine ins Rampenlicht der Medien stellt, beweist Tom Bock, dass erst angemessene Geduld und Reife wirklich große Gewächse hervorbringt.  Die Toskana hat eine große Tradition an Dessertweinen, und in dieser steht der MILLE E UNA GOCCIA. Für diesen Wein werden die reifen Trauben des Sangiovese nach traditioneller Art unter der Decke des Weinkellers aufgehängt. Das Wasser verdunstet, in den Rosinen verdichtet sich das Aroma und schließlich keltert man puren Nektar, der mit feinem Spiel von Süße und Säure noch nach vielen Jahren glücklich macht – wenn man es denn schafft, ihn so lange ruhen zu lassen.


Tom Bock hat sich ganz dem Rotwein verschrieben, was jedoch nicht bedeutet, dass man sich auf Tomilaia nicht auch auf Weißwein versteht: Der in klewinster Auflage erzeugte BIANCO, eine Cuvee aus Trebbiano, Malvasia bianco und Sauvignon blanc ist ein frischer, ehrlicher Bursche, der viele Vorurteile zu toskanischen Weißweine Lügen straft, ausschließlich für das Frankfurter Restaurant A Casa Di erzeugt wird und hier schon viele Freunde gefunden hat. Ein Sommer, ein Rosé: der ROSATO wird zu 100\% aus Sangiovese gekeltert, wobei der Most nach dem Vorbild der Provence nur ganz kurz im Kontakt mit den Traubenschalen bleibt und bei niedrigen Temperaturen vergoren wird. Das Ergebnis ist ein heller, feiner Rosé, der perfekt in den Sommer passt.


Wer sich entspannt einem Glas Hash Ish oder Storia zuwendet, sieht vor seinem geistigen Auge die traumhafte, an den Garten Eden erinnernde Landschaft der Toskana aufsteigen. Doch auf Tomilaia wird nicht nur emsig gearbeitet, sondern man hat auch noch einiges vor: Das Projekt Terra Innamorata 20/20  beinhaltet die Errichtung eines 8 Hektar großen neuen Weinbergs in optimaler Ausrichtung an einem einzigen, zuvor präzise auf seine Eignung für Spitzenweine untersuchten Hang. Neue Keller werden gebaut und darauf ein architektonisches Juwel mit acht Degustationssuiten für Gäste errichtet, die unmittelbar am Weinberg gelegen den direkten Kontakt mit Land, Leuten und Wein ermöglichen. „Sie spazieren aus ihrem Zimmer über den Weinkellen direkt in den Weinberg hinein und können im Schlaf den Atem der Weine spüren“.


Müdigkeit oder Erschöpfung sucht man bei Tom Bock vergebens, und wie erfrischend ein Leben, dass sich aus der Leidenschaft für Kunst und Kultur, Land und Leute, Präzision und Genuss entwickelt, auf das Umfeld ausstrahlt, lässt sich gut im Florentinischen Viertel beobachten. Hier ist rund um den Walther-von-Cronberg-Platz ein öffentlicher Raum mit authentisch italienischem Flair entstanden. „Architektur ist für die Menschen da. Einer Mode hinterherzulaufen, ist der falsche Weg, modern ist vielmehr, was auch nach 200 Jahren noch begehrt ist – und somit modern. Da hat Architektur eine ganz andere Halbwertszeit.“ Seine Ideen vermittelt Bock auch als Dozent am Dessau Institute of Architecture. Ob er da bei der ein- oder anderen Vorlesung eine Flasche seiner Weine dabei hat, um sinnlich zu unterstreichen, was sachlich nicht vollends zu erklären ist, bleibt sein Geheimnis. Italienischen Freunden bringt er jedenfalls ganz aktiv die Rhein-Main-Region und deren Winzer näher. Eine Delegation italienischer Politiker wurde kurzerhand zum Weingut Battenfeld-Spanier gefahren, um etablierte Vorurteile im Glase zu widerlegen. Die Delegierten ließen sich denn auch nicht lange bitten, kauften kistenweise Wein und brachten so ein gutes Stück deutscher Weinbaukunst in ihre Heimat.


Fragt man Tom Bock nach einem Attribut, das er für sich in Anspruch nehmen würde, so ist es Authentizität. Das erstaunt zunächst angesichts seiner unglaublichen Schaffensbreite und -vielfalt, die wirkt wie das Leben auf einer zehnspurigen Autobahn. Doch betrachtet man in Ruhe diesen diskreten, höflichen und immer zugewandten Menschen, so leuchtet es ein. „Ich gehöre nicht zu den Leuten, die mit ihren Leistungen herumprahlen“.  Stimmt. Der ist wirklich so, macht einfach nur sein Ding. Und das sieht richtig gut aus, schmeckt gut, man kann ausgezeichnet darin wohnen oder es einfach mit nach Hause nehmen!

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10. Oktober 2011
Bastian Fiebig
 
 
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