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Foto: © Philipp Trocha
Foto: © Philipp Trocha

Flügge Brauerei schließt

„Als hätte jemand den Stecker gezogen.“

Die Frankfurter Spezialitäten-Brauerei Flügge hat ihren Betrieb eingestellt. Gründer Dominik Pietsch und Joachim Amrhein begründen die Geschäftsaufgabe mit sinkenden Absatzahlen – bei steigenden Kosten seit Beginn der Pandemie und in Folge des Kriegs in der Ukraine.
Mit der Geschäftsaufgabe von Flügge verlieren Frankfurt und die Region eine Perle innovativer Braukultur. Die 2018 von Dominik Pietsch und Joachim Amrhein gegründete Brauerei mit Sitz in Schwanheim hat sich nicht nur mit aufwendig gestalteten Flaschen und Dosen, sondern vor allem mit Pietschs kompromisslosem Brauansatz regional wie international in der Craftbier-Szene einen Namen gemacht. Entsprechend groß war die Anteilnahme in den sozialen Medien, nachdem die beiden vor zwei Wochen die Geschäftsaufgabe verkündeten. „Wir waren überrascht von den Reaktionen“, sagt Pietsch. „Wir hatten mit ein paar Kommentaren gerechnet, aber es haben sich dann sehr sehr viele Leute gemeldet, haben angerufen, geschrieben und schnell noch letzte Bestellungen gemacht. Das hat uns berührt und ist natürlich schöner, als wenn das niemanden juckt, wenn du aufhörst.“

Kein Pils. Kein Helles.

Zwar gibt es in Frankfurt und der Region noch andere bemerkenswerte kleine Biermanufakturen, doch Flügge war als Sonderling für Pietschs Spezialisierung auf Biere mit Früchten, unkonventionelle Sauerbiere und Bier-Wein-Hybride, sogenannte Grape Ales bekannt. „Wir sind als kleine kreative Brauerei angetreten, die den deutschen Biermarkt um Getränke ergänzt hat, die es zur damaligen Zeit noch nicht oder kaum gab“, erklärt Pietsch. „Wir machen kein Pils. Wir machen kein Helles. Unsere Neukreationen haben mit dem ursprünglichen Bier-Begriff im Grunde nix mehr zu tun.“ Vor allem bei Bier-Wein-Hybriden horchen orthodoxe Bierfans skeptisch auf. Doch Pietsch betont: „Wir haben das Rad an der Stelle nicht neu erfunden. Das gibt es schon lange.“




Alles außer gewöhnlich, die Biere von Flügge © Philipp Trocha

Für die Herstellung dieser Hybride gibt es verschiedene Verfahren. Teils wird Bier mit Wein „gemischt“, auf frischen Trauben oder auch in Weinfässern gelagert. „Dabei werden die Grenzen verwischt. Es ist kein Bier, aber auch kein Wein. Es ist etwas, was dazwischen stattfindet und sich gut ergänzt“, so Pietsch. Für ihre Grape Ales hätten sie in erster Linie mit Sauerbieren gearbeitet, weil diese von Haus aus eine Aromatik mitbrächten, die gut mit der der Weine korrespondiert. „Ein schönes Sauerbier mit einem schönen Riesling das schmeckt bombastisch gut – schön spritzig, genau das Richtige für den Sommer“, so Pietsch.

Bevor Pietsch 2014 nach Frankfurt kam, 2015 sein erstes Bier braute und schließlich 2016 Amrhein kennenlernte, arbeitete er als freier Fotograf. Amrhein wiederum war in einer Steuerkanzlei tätig. Die gemeinsame Begeisterung für ausgefallenes Bier war schnell gefunden, was 2017 zu ersten Plänen und Anfang 2018 zur Gründung von Flügge führte. Während Pietsch sich um die Produktion kümmerte, übernahm Amrhein alles andere: „Ich war dafür zuständig, das Lager vollzumachen, während Jo daran gearbeitet hat, das Lager wieder leer zu machen“, fasst Pietsch zusammen und fügt lachend hinzu: „Hätte ich die Brauerei allein gegründet, wäre sie nach drei Monaten geschlossen worden und hätte Jo sie allein gegründet, wäre sie auch nach drei Monaten geschlossen worden. Das hat nur in der Konstellation funktioniert.“




Teamwork bei der Weinlese für die Grape Ales, Joachim Amrhein (l.) und Dominik Pietsch (r.) © Philipp Trocha

Ein heißer Ritt, die Zukunft und eine letzte Chance

Dass sie nun schließen, sei eine rationale Entscheidung. Erst die Pandemie und der damit rückläufige Absatz sowie die jüngsten Preissteigerungen für Rohstoffe, Logistik, Energie und Verpackung in Folge des Kriegs in der Ukraine ließen ihnen keine andere Wahl, als wirtschaftlich die Reißleine zu ziehen. „Im vergangenen Jahr ging es nur noch ums Funktionieren, Abarbeiten und immer auf die Zahlen gucken. Das nimmt einem auch den Spaß am kreativ-sein.“ Zwar hätte es im Sommer 2022 mit wieder stattfindenden Biermessen und einer gewissen Normalisierung des Alltags und der Ausgehkultur einen kleinen Aufwind gegeben, so Pietsch, „doch ab dem Herbst war das, als hätte jemand den Stecker gezogen. Die Absätze sind nicht gesunken, sondern einfach komplett eingebrochen.“ Es sei klar gewesen, würden sie weiter machen, würden sie in die Insolvenz schlittern. Und das wollten sie verhindern.

„Wenn ich mir Fotos angucken, wie wir damals angefangen haben, da herrschte eine Euphorie und ein Wahnsinn. Wir hatten Kraft und Energie, haben gearbeitet ohne Ende und wollten so richtig was bewegen. Die vergangenen fünf Jahre waren ein heißer Ritt, einerseits wahnsinnig und euphorisch, andererseits kräftezehrend und ermüdend.“ Diese Zeit wolle er nicht missen, sagt Pietsch, aber jetzt brauche er erst einmal einen „Cut“. Ob er sich prinzipiell vorstellen könne, wieder in eine Brauerei zu arbeiten? Die Frage stelle er sich noch nicht. „Ich bin gerade im Autopiloten und der sagt, wir müssen erstmal alles fertig machen und die Räume verlassen.“ Das sei unromantisch und mache wenig Spaß, aber sei jetzt das Wichtigste. „Was dann passiert, wissen wir beide noch nicht. Vielleicht treffen Jo und ich uns dann mal auf einen Apfelwein“, sagt Pietsch und klingt dabei auch ein bisschen erleichtert.

Wer noch nie ein Flügge probiert hat, sollte die letzte Gelegenheit nutzen. Am Samstag, 4. Februar, findet in der Goldsteinstraße 254 in Schwanheim von 10 bis 15 Uhr ein allerletzter Werksverkauf statt.

Flügge Brauerei, letzter Werkverkauf am 4. Februar 2023, Schwanheim, Goldsteinstraße 254, 069/27270462




Ein paar der schönen Flaschen sind noch zu haben. © Philipp Trocha
 
3. Februar 2023, 12.25 Uhr
srs
 
 
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