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Silvestriviziert

Die gleiche Prozedur wie jedes Jahr

Geschafft: Die Feiertage sind überstanden, die Liebsten beschenkt und die Plätzchen verdaut. Familienkrisen wurden heraufbeschworen und wie durch einen Wunder wieder ad acta gelegt. Was folgt, sind vier Tage lang Ruhe vor dem Sturm, die Ruhe vor Silvester!
Der Jahreswechsel ist ein Thema, das schon die Römer, die Kelten, die Germanen beschäftigt hat. Das eigentliche Datum mag mehr als einmal gewechselt haben, die Sorgen und Hoffnungen, die damit verknüpft waren, blieben jedoch gleich: Was hat man im vergangenen Jahr erreicht, welche Fehler begangen? Und was lässt sich daraus für das neue ableiten?
Doch es scheint, dass sich nicht jeder am letzten Tag des Jahres noch Zeit nimmt für derartige Betrachtungen. Silvester ist kein Abend mehr, den man besinnlich im Kreis von Familie, Freunden und Nachbarn begeht. Silvester muss man feiern: groß, lautstark, hochprozentig und anonym!

Alle Welt scheint der Überzeugung zu sein, dass sie just an diesem Abend mehr Spaß haben sollte als die 364 Abenden zuvor: Silvester muss man auf der heißesten Party der Stadt, im heißesten Outfit der Saison mit den hippesten Leuten der Szene verbringen! Silvestermuffeln bleibt da kaum eine Chance – insbesondere, weil sie sich meist in der Minderheit wähnen und sich daher bereitwillig silvestrifizieren lassen: Wer noch keine eigenen Pläne (oder eine gute Ausrede) für den Abend hat, wird gnadenlos von radikalisierten Neujahrs-Aktivisten aus dem engen und weiteren Freundeskreis in deren Partyplanung eingespannt. Da werden schon im September Tische reserviert, Limousinen angemietet, utopische Summen in Eintrittskarten irgendwelcher Clubs investiert, in die man an allen übrigen Tagen des Jahres auf Gedeih und Verderb keinen Fuß setzen würde, Menüs geplant, Räume gebucht, Gäste geladen und neue Garderobe angeschafft.

Glücklich ist, wer rechtzeitig vor dem großen Tag eine Grippe bekommt, und sich somit aus der Affäre ziehen kann, denn meist ist es unmöglich, dass eine Silvesterveranstaltung mit dem Bohei, das monatelang um sie gemacht wird, überhaupt mithalten kann. Oftmals endet sie als Enttäuschung. Das Buffet ist schon zehn Minuten nach Eröffnung von den wilden Horden gefleddert, die Bedienung erreicht einen nicht vor halb eins mit dem Gläschen Prickelwasser zum Anstoßen, die hundertzwanzig Euro Eintritt hat man trotzdem gezahlt. Es folgen weitere horrende Kosten für diverse Cocktails, denn der einzige Ausweg aus der gezwungenen Veranstaltung scheint die kontinuierliche Selbstdemontage durch massive Ethanol-Aufnahme zu sein.

Wenn man wenige Stunden später mit latenter Übelkeit in die Kissen sinkt und mit den letzten noch funktionstüchtigen Hirnzellen den Kater des morgigen Tages vorausahnt, fasst manch einer in den ersten Morgenstunden des neuen Jahres noch schnell einen guten Vorsatz: Den nächsten Silvesterabend mit Menschen zu verbringen, die er wirklich mag, an einem Ort, an dem er sich wirklich wohlfühlt, bei einem Essen, das ihm wirklich schmeckt und einem Glas Sekt, dass genau so viel kostet, wie es auch wert ist. Einmal habe ich von jemandem gehört, dass es ihm gelungen sei, sich an diesen Vorsatz zu halten. Er sagte mir, es sei der schönste Silvester seines Lebens gewesen!
 
26. Dezember 2011, 11.29 Uhr
Henriette Nebling
 
 
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