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Futtern wie bei Muttern?

A Sentimental Journey

Wenn es um gutes Essen, bewahrenswerte Dinge und liebenswerte Traditionen geht, dann muss in der Werbung immer eine herhalten: Großmama. Doch war früher wirklich alles besser?
Spricht man von italienischer Küche, so meint man eigentlich immer „alla mamma“. Hierzulande hat eher die Großmutter zumindest virtuell die Pole-Position am Herd. So sind weiße Haare – gern auch zum „Dutt“ frisiert – und fortgeschrittenes Lebensalter im Werbefernsehen ein untrügliches Zeichen für guten Geschmack und herausragende Fähigkeiten beim Kochen. Und natürlich gibt es sie wirklich noch, jene Ikonen der heimeligen Kochkunst, die ihr Wissen verantwortungsvoll an folgende Generationen weitergeben, aber ist das wirklich die Regel? Verfügen unsere Eltern und vor allem unsere Großeltern immer noch über jenes Wissen, das jeden Braten, jeden Kuchen und jeden Weihnachtskeks zum Besten aller Zeiten werden lässt?

Ein Blick zurück führt in Zeiten, die alles andere als kulinarisch nachahmenswert sind. Lässt man die schrecklichen Kriegs- und die folgenden Hungerjahre mal außen vor, so beginnt Omis Ausbildung am Herd oder in der Hauswirtschaftslehre meist in den 50ern. Zu dieser Zeit galt es, dürre Kinder in pummelige Jungs und Mädels zu verwandeln, also war die Küche vor allem üppig, fett und ansonsten recht einseitig, denn es gab nicht viel Auswahl. Maggi & Co. standen zudem hoch im Kurs, also das, was heute unter dem Begriff künstliche Aromen allgemein verpönt ist, aber Mutti hatte nun mal mehr zu tun, als Stunden am Herd zu verbringen, bis etwa ihre komplexe Kräutermischung perfekt auf die feinen Aromen des Fleisches abgestimmt war. Die Zeiten waren nicht vergnügungssteuerpflichtig, Kinder gab es viele und die Qualität der Lebensmittel war nicht besonders. Ein weiteres Beispiel ist das Thema Kuchen: Sobald Doktor Ö. seine Fertigmischungen auf den Markt gebracht hatte, rissen ihm Millionen von Hausfrauen diese aus der Hand. Mit der Zubereitung von Speisen war es nämlich damals wie heute: Je schneller es geht, desto besser. Dann kamen die 70er und 80er und mit ihnen Mikrowelle, Konserven, Fastfood-Ketten und immer mehr alleinerziehende Mütter mit sehr wenig Zeit für Kulinarisches.

Diese Vergangenheit taugt also schlecht als Vorbild, doch man könnte noch weiter zurückschauen, vielleicht bis tief ins 19. Jahrhundert, aber da trennt sich eine Schicht schnell von der anderen. Entweder man gehörte zum Proletariat, das weder Mittel noch Zeit für Sauerbraten oder Sachertorte hatte oder man war wohlhabend genug, Profis für sich kochen zu lassen. Doch irgendwoher muss ja die Erinnerung stammen, dass a) damals alles besser war und b) Mutti einfach immer noch am besten kocht. Verdrängung funktioniert am besten rückwärts, das ist wahrlich keine neue Erkenntnis. Immer sind es unsere Kindertage, die für echtes Glück herhalten müssen – die Gegenwart ist viel zu kompliziert und die Zukunft taugt als Argument der Werbetreibenden höchstens bei den Themen Gesundheit und Sport.

So hat sich also ein kompletter Industriezweig auf alte Zeiten spezialisiert. Einerseits sind es Hersteller von Fastfood, die ihre Produkte über die harmonische Inszenierung von Familienszenen anpreisen. Da steht zwar eine dynamische Mutti am Herd, denn schließlich sind diese Lebensmittel ja nicht altbacken und von gestern, aber ohne Oma geht es nicht: Sie nippt etwa an der Sauce und zieht wissend die Augenbrauen hoch oder murmelt etwas wie „das schmeckt ja wie mein Rezept“. Wie damals halt. Andererseits hat sich insbesondere die Zunft der ökologisch wirtschaftenden Lebensmittelerzeuger die glückliche Vergangenheit als Marketingidee reserviert, denn schließlich gab es damals noch keine Pestizide, Fungizide, Massentierhaltung und Dioxin in den Eiern. Gut so. Doch nicht alles, was gesund ist, schmeckt auch gut, und so habe ich mich letzte Woche gefragt, was meine Großmutter wohl mit jenem Rosinenbrot aus Vollkorndinkel gemacht hätte, das mir meine ahnungslose Mutter mitbrachte. Ein Haus gebaut? Das hätte vermutlich funktioniert. Der Bäcker war ganz sicher, dass man das früher genau so gemacht hat. Gut möglich. Wer erinnert sich heute noch an Mutterkornvergiftungen durch Cerealien oder Steine im Brot, vor denen so mancher Zahn weichen musste? Damals war nicht einfach.

Heute sind die Regale in den Geschäften prallvoll mit den fantastischsten Zutaten, von Junkfood bis Urkorn, von Massentierhaltung bis zum handgestreichelten Kobe-Rind und angesichts über einer Milliarde hungernder Menschen kann man da getrost von Zuständen sprechen, die ans Schlaraffenland erinnern. Weshalb muss da immer wieder Omi ran, um uns zu versichern, dass hier alles mit rechten Dingen zugeht?

Es wird höchste Zeit, im Hier und Jetzt anzukommen, denn unsere Freunde warten schon und Omi darf sich gern an meinen Tisch setzen. Am besten zusammen mit Mutti – aber kochen will ich lieber selbst, und zwar nach meinen eigenen Rezepten oder denen aus spannenden, neuen Kochbüchern.
 
23. Januar 2012, 06.37 Uhr
Bastian Fiebig
 
 
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