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Zu Besuch beim Küchenchef
Zu Besuch bei Eckhardt Keim
Foto: Bastian Fiebig
Bastian Fiebig
Die Geschichte des sympathischen Küchenchefs im Restaurant Estragon ist besonders eng mit der Mainmetropole verbunden – dabei kocht Eckhardt Keim, als hätte er sein Handwerk an der Seine oder in der Provence gelernt!

Nun gut, Keim auf französische Küche festzulegen wäre nicht korrekt, ist für ihn doch der gesamte Mittelmeerraum ein weites Feld zur Inspiration. Mediterrane Bistroküche ist im Estragon seit 1999 kulinarischer Fixpunkt, der sowohl treue Stammgäste als auch immer wieder neue Gäste anlockt – ganz zu Schweigen von mittlerweile hunderten Teilnehmern der Kochkurse für die Genussakademie in seiner kleinen, aber sehr gemütlichen Küche. Wer derart konsequent für eine Küchenrichtung eintritt, dem unterstellt man gern familiäre Prägung oder sogar die Verpflichtung, eine Tradition fortzusetzen. Bei Eckhardt Keim war das jedoch ganz anders.



Früh Qualität gelernt



Der junge Eckhardt wurde im Nordhessischen Homberg/Efze geboren und wuchs in einer Familie auf, die er selbst scherzhaft als „Lehrerdynastie“ bezeichnet – Eltern und Patenonkel waren in der Lehre tätig, doch die Großeltern waren wie so oft für die kulinarische Kompetenz im Hause Keim zuständig. Nicht etwa in Sachen mediterraner Genuss, sondern ganz bodenständig wie in Nordhessen üblich: Man ließ sich einmal im Jahr ein Schwein kommen, es wurde selbst geschlachtet und anschließend von Blut- bis Ahle Worscht so ziemlich alles hergestellt, was dem Genießer und natürlich auch dem jungen Eckhardt das Wasser im Munde zusammenlaufen lief. Aus dieser Jugendzeit erzählt Keim eine Geschichte, die von zentraler Bedeutung für die Entwicklung seines  ausgeprägten Qualitätsbewusstseins war. Als wieder der große Moment nahte, die neue Ahle Worscht zu probieren, schnitt der Großvater eine dicke Scheibe ab und reichte sie seinem Enkel. Der probierte mit glänzenden Augen, verzog jedoch schnell das Gesicht und reichte den Rest mit den Worten zurück „Die ist ranzig!“ Die Reaktion des Großvaters kann man sich vorstellen: Zügig schritt er die Treppe hinauf und probierte der Reihe nach Wurst um Wurst – alle nicht genießbar. Was war der Grund? Der Bauer, von dem Familie Keim seit Jahren ihr Schwein kaufte, hatte vor kurzer Zeit auf neues, industriell gefertigtes Futter umgestellt. Das hatte das Fleisch der Tiere zum Nachteil verändert, die Qualität gemindert und es somit ungeeignet zur Herstellung der nordhessischen Spezialität gemacht. Die Konsequenz war, dass man sich sein eigenes Schwein in einen besonderen Koben stellen ließ und dieses mit demselben guten Futter wie früher versorgen ließ. Ein Jahr später war auch die Wurst wieder so gut wie gewohnt. Qualität beginnt ganz am Anfang, das hatte Keim nun gelernt.



Von Nordhessen nach Frankreich ... furt!



Und woher die Begeisterung für französische Küche? Da hat Keim eine ganz einfache Erklärung: „Meine Eltern berichteten mir, das man in Frankreich in mehreren Gängen isst – das wollte ich auch haben!“ Zunächst wollte Keim jedoch den Weg als Musiker einschlagen und schrieb sich als Bassist an der Universität ein. Während des Studiums stand er allerdings entweder in der Mensa oder der benachbarten Bierschwemme am Herd und jobbte mit viel Spaß, um ein Studium zu finanzieren, das er schließlich nicht beenden wollte – zu akademisch, ja langweilig ging es ihm dort zu. Nach ein paar Jahren hatte er bereits das volle Repertoire eines Kochs drauf, allerdings fehlte noch der Berufsabschluss, den er nun zackig im Rahmen einer Express-Ausbildung innerhalb von 15 Monaten erwarb. Jetzt rief die Frankfurter Szenegastronomie: Zunächst ging es ins damals legendäre Schmendrick, wo der Rotwein in strömen floss und sich die Gäste den Kopf heiß reden konnten, bis die Rede von Keims Spezialitäten unterbrochen wurde. Der Pachtvertrag lief aus, das Haus wurde verkauft und die Miete erhöht, also war hier Schluss und Keim wechselte ins Tonnengewölbe des Finkenhof, wo er ab 1988 wiederum für volle Tische und glückliche Gäste sorgte. Auch hier sorgte ein auslaufender Pachtvertrag für das jähe Ende, weiter ging’s ins Mosebach, das mit Keim am Herd seine Glanzzeiten erlebte. Zu dieser Zeit arbeitete der kaum zu bremsende Koch an seinem freien Tag bereits im Estragon, um dort nach etwa 18 Monaten den Posten als stellvertretender Küchenchef anzutreten.



Er macht sein Ding!



In dieser Zeit kristallisierte sich immer deutlicher heraus, dass Keim es leid war, immer wieder anderen in die Stiefel zu helfen – er wollte sein eigenes Restaurant betreiben, doch in Frankfurt war schlicht nichts zu finden, was in sein Konzept passte. Also ging es hinaus ins beschauliche Dieburg, wo das Badhaus mit seiner wunderschönen Architektur inklusive Kreuzgewölbe aus dem 15. Jahrhundert und schöner Wohnung in der ersten Etage gerade recht kam. So erfreuten sich fortan Dieburger Feinschmecker an Keims Kochkunst, bis die Gemeinde auf die Idee kam, die Kanalisation zu erneuern – und im Rahmen der Buddelei auf einmal römische Mauerreste zum Vorschein kamen. Sofort wurden die Bauarbeiten eingestellt, die offene Straße und der entsprechend aussehende Bürgersteig wurden zum Dauerzustand und die Gäste fanden schnell Alternativen, bei denen man nicht nach einem Restaurantbesuch neue Stöckelschuhe kaufen musste. Schließlich stellte sich die römische Hinterlassenschaft als völlig unbedeutend heraus, doch Keim wollte nur noch eines: Nach Hause, zurück an den Main. August 1996 suchte man im Weil & Weil dringend einen Nachfolger für einen unfähigen französischen Koch, da war Keim herzlich willkommen. Die Liebe hielt etwas länger als ein Jahr, dann ging es für die Dauer einer Schwangerschaft in die Speisekammer, besagte neun Monate später ging es weiter an den Herd des Rosengärtchens, damals von den Testern von FRANKFURT GEHT AUS! auf die Flopliste mit der Bemerkung gesetzt, hier gäbe es die fadesten Saucen der Stadt. Für den Meister der Sauce Eckhardt Keim beinahe schon eine sportliche Herausforderung: Er kochte das Restaurant flugs wieder in die Herzen der Nordendler, hatte aber sein Ziel nicht aus dem Auge verloren. Und das fand er durch einen glücklichen Zufall. Nach vier Monaten war Schluss mit Rosengärtchen, Keim schlug die Zeitung auf und ihm sprang aus einer Anzeige direkt die Adresse Jahnstraße 49 entgegen – das Estragon war frei!



Endlich angekommen



In Windeseile wurde das Ordnungsamt informiert, ja förmlich überrannt und es dauerte nicht mal 14 Tage, da saßen bereits die ersten Gäste an den Tischen des kleinen, auch heute noch so charmanten Restaurants. Der Rest ist Geschichte, aber keinesfalls Stillstand, sondern eher das Ergebnis interessierter Beobachtung aktueller Trends, ohne hektisch auf den ein- oder anderen Zug aufzuspringen. So gart Keim einige Produkte Sous-Vide, andere bei niedriger Temperatur, doch molekulare Experimente wird man hier vergeblich suchen. “Dekonstruktion – das ist doch eigentlich wie bei unserer Fischterrine!“, sagt der streitbare Küchenchef. Er plädiert für beherztes Würzen anstelle von „Angsthasenküche“, die dem Gast selbst überlässt, wie viel von welchem Salz nun an die Speisen kommen soll. Escoffier ist für ihn immer noch das Maß der Dinge, natürlich als solide Basis, auf der sich vortrefflich eigenes Profil erkochen lässt. Und das hat Keim seit Jahrzehnten immer weiter geschärft – apropos: Schärfe hält er nur ganz dezent für angebracht, denn sie überlagert schnell die feinen Aromen der Produkte, die im Estragon im Mittelpunkt aller Arbeit in der Küche stehen. So fertigt er grundsätzlich selbst seine Gewürzmischungen an, damit alles unter Kontrolle bleibt. Frische Kräuter – klar, auch Estragon – gehören zu Keims festem Repertoire, außerdem hat er ein Faible für traditionelle Gerichte, die von kulinarischen Moden verdrängt auf ihre Wiederentdeckung warten.



Erntezeit



Neben seinen Lieferanten ist für Keim die Kleinmarkthalle ein perfekter Ort, um sich sowohl von der betörenden Anzahl an Spezialitäten und Produkten inspirieren zu lassen als auch Zutaten zu besorgen, die er nur in kleiner Menge benötigt und die man nur hier in jener Qualität bekommt, die in der Küche Eckhardt Keim an der Tagesordnung ist. Lila Kartoffeln kauft er gern bei Franz Olbrich, der auch viele besternte Kollegen mit erstklassiger Ware versorgt, Gewürze wie etwa Langpfeffer oder Wachholder findet Keim bei Karl Müller & Co., frische Kräuter bei Wong’s Asia Latino und das selten gewordene Schweinenetz findet man noch bei Ullmann in der Auslage, der auch die Ochsenbäckchen beisteuert. „Durch den Trend zum Vegetarischen wird es immer schwieriger, bestimmte Zutaten zu bekommen“ – wie gut, dass es diese herrliche Markthalle im Herzen der Mainmetropole gibt. Keim sieht sich allmählich im Herbst seines Schaffens: „Mit 56 Jahren sieht man so langsam das Ende herannahen“, sagt Keim mit beinahe jugendlichem Gesichtsausdruck. Angesichts seiner wilden Biografie glaubt man ihm jedes Wort, aber gleichzeitig sieht man dieses Funkeln in den Augen des leidenschaftlichen Kochs und ich bin irgendwie sicher: Mit 66 Jahren ist da noch lange nicht Schluss!

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21. Oktober 2013
Bastian Fiebig
 
 
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