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Showdown

Turnschuh vs. Anzug

„Der Kunde ist König“ – so sollte es eigentlich sein. In einigen Restaurants scheint das aber nur zu gelten, wenn man als Gast, wenn schon nicht majestätisch, dann doch wenigstens schick und teuer angezogen ist. Als leger gekleideter Mensch hat man bisweilen weniger Glück.
Ein Leben ohne Anzug ist nicht leicht – zumindest, wenn man im Restaurant mit Schlips- und Kostümträgern um die Gunst des Kellners kämpfen muss. In Turnschuhen kann nämlich schon die Bestellung zur echten Geduldsprobe werden: Während keine zwei Sekunden vergehen, bis die Geschäftsleute am Nebentisch die Speisekarten und die ersten Getränke vor sich stehen haben, müssen weniger wichtig aussehende, aber ebenso hungrige Gäste eine halbe Ewigkeit warten, bis sich ein Kellner zu ihnen verirrt und wortlos die Karte auf den Tisch fallen lässt. Man ist gut beraten, genug Zeit für den Restaurantbesuch einzuplanen, denn die Bedienung muss ja auch noch mal an den Tisch gelockt werden, damit man überhaupt bestellen kann – da ist Durchhaltevermögen gefragt. Der folgende Kampf um die Aufmerksamkeit des Kellners ist ein ungleicher: Während ein großer Teil des Personals alles stehen und liegen lässt und lossprintet, wenn ein Anzugsträger nur kurz lässig die Hand hebt, müssen sich Gäste, die nach weniger Geld aussehen, richtig ins Zeug legen, um sich Gehör zu verschaffen – und dabei in Kauf nehmen, dass sie, wild mit den Armen rudernd, recht bizarr aussehen. Einzig davon unbeeindruckt zeigt sich der Kellner, der zwar immer wieder provozierend nah vorbeiläuft, aber äußerst interessiert und ausdauernd einen imaginären Punkt an der Wand fixiert und jedem Augenkontakt ausweicht. Kein Wunder, dass die Herren und Damen am Nebentisch schon fast beim Dessert sind, wenn die Vorspeise endlich bei einem eintrifft.

Apropos Vorspeise – es gibt eine todsichere Methode, wie man in den Augen des Kellners noch weiter sinken kann: Ein verächtlicher Blick ist einem sicher, wenn man auf die Idee kommt, sich eine Vorspeise oder ein Dessert teilen zu wollen und damit ganz offensichtlich das Vorurteil bestätigt, dass bei Menschen in Turnschuhen und Sweatshirts finanziell gesehen nicht viel zu holen ist. Wenn man dann tatsächlich zahlen möchte, empfiehlt es sich, die Arme schon frühzeitig in die Luft zu reißen, um auf sich aufmerksam zu machen – denn auch auf die Rechnung muss man bisweilen etwas länger warten.

Und warum das Ganze? Natürlich gibt es Kellner, die generell unfreundlich sind oder mal einen schlechten Tag haben. Allerdings ist es schwer, es nicht persönlich zu nehmen, wenn der Miesepeter, der einem gerade noch die kalte Schulter gezeigt hat, auf dem Weg zum Tisch vermeintlich zahlungskräftigerer Gäste eine wundersame Wandlung durchmacht und sich als wahrer Sonnenschein entpuppt, der scherzt und lacht, was das Zeug hält. Zu bedenken wäre da nur noch, dass auch Menschen, die nicht von oben bis unten in Markenkleidung oder in feinsten Zwirn gehüllt sind, ein Restaurant betreten, weil sie es sich leisten können, und nicht, weil sie mit dem Vorsatz gekommen sind, später in der Küche dreckiges Geschirr zu spülen.
 
25. Juli 2011, 12.00 Uhr
Anke Uhl
 
 
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