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Rezeptideen für Puzzleliebhaber

Kreatives Nebeneinander

Was waren das noch für Zeiten, als man den Namen eines Gerichtes in eine Zeile schreiben konnte. Heute konfrontieren Küchenchefs ihre Gäste häufig mit einer Vielzahl von Komponenten, deren korrekte Dosierung diese schließlich selbst vorzunehmen haben. Das lässt viel Raum für Beliebigkeit.
Die Trennlinie zwischen Haute Cuisine und sogenannter Bistro- oder Landhausküche verläuft messerscharf auf der Speisekarte. Während hier von Quiche Lorraine oder gebratenem Seeteufel die Rede ist, werden dort in ausufernder Speisekartenlyrik wahre Kunstwerke anmoderiert, deren endgültige Montage auf dem Teller unterdessen einen Großteil der Zubereitungszeit in Anspruch nimmt.

Nehmen wir mal an, Sie haben ein Kalbsbries bestellt, das laut Speisekarte mit Mohn, Kressesaft und "Erbse" zubereitet wird. Was man sich unter Erbse vorzustellen hat, wird gar nicht erst erläutert, denn das ist gerade in Mode – Überraschung ist Trumpf. Auf dem Teller finden sich die einzelnen Elemente als eine Ansammlung von Beilagen wieder – wunderschön arrangiert, mit unterschiedlichen Texturen, Temperaturen und Aromen, aber dennoch nebeneinander. Hier sind also nur Bries und der entsprechende Fond eine kompositorische Leistung, während das bloße Anbeilegen weiterer Zutaten dem Gast die Entscheidung der präzisen Vermengung und Dosierung überlässt.

Ein sinfonisches Konzert in dieser Manier wäre bestimmt spannend, denn hier könnte der Zuhörer die Anteile von Konsonanz und Dissonanz im Klang des Stückes selbst bestimmen, doch unsere Vorstellung von einer Komposition sieht nun mal anders aus und unterscheidet etwa deutlich Klassik von Jazz. Bei letzterem spielt Improvisation die Hauptrolle und es scheint heute, als hätten sich viele Küchenchefs hier ihre Inspiration gesucht. Der Gast muss nämlich immer öfter bei vielen für die Komposition relevanten Aromen selbst entscheiden, welche Menge der unterschiedlichen Komponenten er auf seiner Gabel versammelt. Das verlangt nicht nur Kompetenz, sondern angesichts von immer mehr "Tools" auch eine zuverlässige Technik im Gebrauch von Esswerkzeug. Ein Stück Fisch aufzunehmen, dieses dann in den Fond zu tauchen, anschließend von mehreren Tupfern am Rand die jeweils richtige Dosis aufzutitschen und dann noch den Gelatinewürfel am Rand mitzunehmen, ist kein Spaß, sondern konzentrierte Arbeit. Vor allem, wenn man sich dabei grob verschätzt und es etwa mit dem Kressesaft übertreibt. Bei den in der Spitzengastronomie oft üblichen kleinen Portionen kann das schon bedeuten, dass man die eigentliche Idee des Küchenchefs gar nicht mehr erfassen kann, denn allzu viele Versuche bleiben dem Gast da nicht.

Apropos: Wie sieht diese konkrete Idee denn eigentlich aus? Im Grunde bleibt bei solchen Arrangements tatsächlich entweder nur die Reduktion auf einen Bissen/Happen, wie es Juan Amador in seinem virtuosen Tapasreigen zu Beginn und Ende seiner Memüs demonstriert, denn da kann nicht viel schief gehen – ein ideales Gefäß und Werkzeug zum Essen vorausgesetzt – oder man liefert gleich die Bedienungsanleitung mit Messlöffelchen und -becherlein mit. Doch die fehlt zumeist, und wenn das Personal dann noch bemüht ist, die immer virtuoser in Szene gesetzten Gerichte zu erklären, dann watscht sie der Gault Millau auch noch für allzu nachhaltiges Informieren ab. Schuld an dieser Misere sind jedoch nicht Kellner oder Kellnerin, sondern Rezeptideen, die nicht Zuende gedacht sind und dem oft hilflosen Gast die finale Entscheidung über Wohl oder Wehe der kulinarischen Verbindung überlassen.

Natürlich freut man sich über kompetente Gäste, die tatsächlich all das kennen und verstehen, was heute in den Spitzenküchen der Welt verarbeitet wird, doch die Realität sieht meist anders aus. Ein hoher Prozentsatz der Gäste möchte vor dem Besuch eines Sternerestaurants kein gastronomisches Studium absolvieren und die einzelnen Speisen auf ihren aromatischen Verlauf, Textur und Abgang untersuchen, sondern ungezwungen genießen und mit konkreten kulinarischen Ideen konfrontiert werden. Hier hat man es ja nicht mit der Frage zu tun, ob man zum Seewolf noch Broccoli oder Kartoffen dazu nimmt, sondern mit ausgefeiltesten Aromen, die in ein präzises Gleichgewicht oder sogar in bewussten Kontrast gebracht werden sollen.

Was in der bildenden Kunst und der Musik Standard ist, macht auch in der Welt der Gastronomie Sinn, nämlich Verbindlichkeit bei der Umsetzung einer Idee. Dabei bringt die richtige Prise Jazz auch hier Abwechslung und frischen Wind, doch das sollte nicht in eine Beliebigkeit münden, die den Gast schlussendlich vor die Aufgabe stellt, das angelieferte Puzzle richtig zusammenzusetzen – die Teile sind hier nur einmal verwendbar, nach dem Genuss verschwunden und die ursprüngliche Idee oft nicht verstanden. Flecken, Spuren, Würfelchen und Körner auf dem Teller sind kein Ausdruck von Kreativität, sondern eine Überbewertung der optischen Erscheinung eines Gerichtes – mehr Wille zur konkreten Äußerung einer kulinarischen Idee wäre wünschenswert.
 
28. November 2011, 05.18 Uhr
Bastian Fiebig
 
 
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