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Kann man Plastik essen?

Alles Käse

Zugegeben, die Überschrift ist ein wenig polarisierend. Doch bei einigen Käsesorten scheint die Nähe zu Kunststoff durchaus einleuchtend – in Sachen Aussehen und Konsistenz sowieso. Ein Plädoyer für guten Käse:
Mit Lebensmitteln ist es heute ein wenig wie mit zeitgenössischer Musik oder philosophischer Literatur: Nur das, was leicht verdaulich respektive konsumierbar ist erfreut sich der Beliebtheit der Massen, denn man schmückt sich natürlich gern mit berühmten Namen oder der Teilnahme an wertig erscheinenden Events. So auch beim Käse. Kaum schreibt einmal der Spiegel über den Niedergang des Beaufort, des vielleicht besten Hartkäses auf Erden (na gut, das ist meine ganz persönliche Meinung), bekommt man in ganz Frankfurt kaum noch eine Kante davon, weil alle wissen wollen, wie toll der wirklich schmeckt. Ist der Hype jedoch vorbei, wird das gute Geld wieder lieber ins neue Auto oder den Sparstrumpf gesteckt, denn wie heißt es so schön: "Wie kann man nur so viel Geld für etwas ausgeben, was nach dem Genuss einfach weg ist?".

So kann man der Lebensmittelindustrie eigentlich keinen Vorwurf machen, sie hätte den Geschmack ihrer Kundschaft versaut – für nach nichts schmeckende gelbe Scheiben namens Käse war bereits der fruchtbare Boden bereitet, bevor diese überhaupt erfunden waren. Was hierzulande mittlerweile als Edamer oder Emmentaler in den Supermarkt kommt, ist im Vergleich zum Original schlicht eine Unverschämtheit und der Name Camembert etwa ist nicht geschützt, so dass man bei einschlägigen Diskountern für sage und schreibe 59 Cent bereits kleine Scheiben mit Weißschimmel erwerben kann, die diesen Namen tragen dürfen. Natürlich schmeckt das Zeug völlig anders, aber wo doch Camembert draufsteht ... Doch wer entscheidet mit seinen Geschmacksnerven, was er kauft? Die Billigteile laufen jedenfalls gut, denn was nach nichts schmeckt, tut auch nicht weh.

Die Franzosen lassen sich in Sachen Käse nicht betrügen: Der größte Hersteller von echtem Camembert de Normandie wurde nach dessen Verlautbarung, er müsse jetzt endgültig auf pasteurisierte Milch ausweichen und strebe eine Veränderung der gesetzlichen Bestimmungen an, radikal bestreikt. Keiner kauft mehr beim Großbetrieb, die kleinen Erzeuger wußten nicht, wie sie noch mehr Käse produzieren sollten und schließlich kroch der Platzhirsch zu Kreuze und bekannte sich zur traditionellen Produktionsweise aus Rohmilch. Natürlich im Fernsehen, und das live zur besten Sendezeit.

Können Sie sich das in Deutschland vorstellen? Ich nicht. Hier gilt Käse als perfekt, wenn er "cremig" ist. Und wonach schmeckt cremig? Käse ist eigentlich ein lebendiges Lebensmittel, doch was im Supermarktregal liegt, kann noch nicht mal "edel" schimmeln – es vergammelt einfach nach Ablauf des Haltbarkeitsdatums. Machen Sie doch mal den Versuch, einen echten Camembert acht Wochen im Gemüsefach ihres Kühlschranks reifen zu lassen (oder noch besser in einem kleinen Reifeschrank bei Zimmertemperatur, aber das ist olfaktorisch in einer normalen Wohnung kaum auszuhalten) und legen Sie einen Billig-"Kamembert" daneben. Das Original hat nach dieser Zeit kaum noch weißen Schimmel und wird allmählich hart, schmeckt aber immer noch faszinierend gut, während der Billigheimer ... das beschreibe ich jetzt lieber nicht.

Ein beliebtes Argument gegen hochwertigeren Käse ist der Preis, doch man braucht von gutem Stoff nur einen Bruchteil jener Menge, die man von Industriegouda & Co. auf ein Brot legen muss, um etwas zu schmecken. Falls da überhaupt was zu schmecken ist, denn meist bleibt nach "Milch", Wasser und einem Hauch von sogenannter Würze nicht viel Aroma übrig. Das rechnet sich absolut, denn guter Käse schmeckt intensiv, hält lange und ist zudem ungemein vielfältig. Ja, sie können jeden Tag des Jahres einen anderen Käse probieren und werden sich nicht wiederholen. Also: Lassen Sie einfach die Finger von langweiligem Dutzendkäse, sie müssen ja nicht gleich mit harten Kerlen wie Epoisses oder Boulette d'Avesnes einsteigen – auch Gouda oder Edamer können richtig gut schmecken, wenn sie eine gute Kinderstube haben!
 
24. Oktober 2011, 05.26 Uhr
Bastian Fiebig
 
 
Fotogalerie:
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