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Foto: Dirk Ostermeier
Foto: Dirk Ostermeier

Interview mit Prof. Dr. Marin Trenk

Lieber Quallen als Zwiebeln

Wo ist eigentlich die deutsche Küche, fragt sich der kulinarische Ethnologe Marin Trenk von der Goethe-Universität Frankfurt, der lieber Innereien und Quallen isst als rohe Zwiebeln.
Zu Beginn des Interviews ist mir noch nicht bewusst, dass ich zu einer großen Anzahl von Deutschen gehöre, die noch nie Innereien gegessen hat – doch das wird sich heute ändern. Wir treffen uns im Ding Ding Sheng im Bahnhofsviertel und ordern einige chinesische Leckereien wie einen Salat aus Streifen von Quallen und Gurken (8,10 €) und Salat aus gekochtem Rindermagen, Rinderfleisch, Schweineohren und Schweinezunge (9,80 €).

Journal Frankfurt: Herr Trenk, als kulinarischer Ethnologe beschäftigen Sie sich mit den Veränderungen globaler und lokaler Esskultur und Sie benutzen in diesem Zusammenhang den Begriff der Invisiblisierung. Was verstehen Sie darunter?
Trenk: „Vor uns steht ein Salat aus gekochtem Rindermagen, Schweineohren und Schweinezunge, daran kann man das gut zeigen: Ohren und Magen erinnern deutlich an das Tier. Der Trend bei uns geht allerdings hin zu bloßem Muskelfleisch. Was an das Tier auf dem Teller erinnert, hat zu verschwinden. Bedenken Sie, dass 80 Prozent des Umsatzes mit Geflügel in Deutschland heute mit Hühnerbrust gemacht wird, der Rest wird in andere Teile der Welt verkauft. Das beste Beispiel sind Chicken Nuggets, sie bestehen aus 37 Zutaten, eine davon ist Huhn. Und diese knochenlose Abstraktion erinnert garantiert an keinen Hühnervogel mehr. Dazu passt auch die grassierende Ablehnung von Innereien, wie wir sie hier vor uns auf dem Teller haben: Aus der Befragung meiner Studierenden habe ich gelernt, dass nur 25 Prozent jemals Innereien gegessen haben – und davon auch nur Leber. In allen anderen Kulturen gelten Innereien als Delikatesse. Nur bei uns und in US-Amerika werden sie zunehmend ausgegrenzt und tabuisiert.“

Damit gehen Sie schon auf kulinarische Globalisierungsbewegungen ein. Wie genau haben diese das Essen beeinflusst?
„Die erste kulinarische Globalisierungsbewegung beginnt mit den Entdeckungsfahrten des Kolumbus im Jahr 1492, ohne die die Küchen dieser Welt nicht zu ihrer heutigen Gestalt gefunden hätten: Undenkbar die Küche in Südostasien ohne die allgegenwärtige Schärfe des Chili, die mediterrane Welt ohne den Geschmack der Tomate oder das Essen bei uns ohne Kartoffeln. Die zweite Welle brachte dann erstmals ganze Gerichte nach Europa, wie im 18. Jahrhundert den Curry aus Indien. Und mit der dritten Welle kamen schließlich in der Nachkriegszeit erstmals komplette fremde Küchen zu uns, die es vormals nicht gab: der uns heute bekannte kulinarische Ethnoboom.“

Erkennen Sie einen globalen Trend?
„Unübersehbar sind vor allem die asiatischen Esskulturen. Chinesisch, Japanisch oder Thailändisch. Allerdings haben die meisten asiatischen Küchen eine Selbstbanalisierung durchlaufen, um sich in Deutschland behaupten zu können. In vielen asiatischen Restaurants findet man heute zwei Speisekarten, die sich wie zwei kulinarische Parallelwelten gegenüber stehen. Aber man trifft im Bahnhofsviertel auch auf für uns außergewöhnliche Speisen, wie indisches Rinderfuß-Curry, denn hier treffen Gastronomen auf das richtige Publikum. Anbiederungen an den deutschen Geschmack sind da nicht nötig. An Profil gewonnen und das auf einem hohen Niveau haben die Japaner.“

Wie kann man den Erfolg der japanischen Küche erklären?
„Mit ihrem kulinarischen Minimalismus, dem Nachdruck auf größter Frische und ästhetischer Präsentation. Den Erfolg von rohem Fisch kann man allerdings gar nicht erklären. Wer hätte vor einigen Jahrzehnten die Prognose gewagt, dass wir in Mitteleuropa wirklich rohen Fisch essen, ohne dass er den Umweg über Pfanne oder Topf nimmt? Der Verzehr von rohem Fisch galt in Europa immer als Inbegriff kulinarischer Barbarei! Doch heute isst die ganze Welt mit Begeisterung Sushi. Innerhalb kurzer Zeit wurde Sushi von einer exquisiten Speise zu Sushi-Boxen im Supermarkt für jedermann. Am Beispiel von Sushi und Ramen sieht man, dass auch die japanische Auslandsküche nicht von Selbsttrivialisierungen verschont bleibt. Was hat Moschmosch noch mit japanischer Küche zu tun?“

Was ist mit der deutschen Küche?
„Wo ist sie? (lacht) Ich wohne im Nordend, dort ist es kaum möglich, Deutsch essen zu gehen. Wenn ausländische Kollegen zu Besuch kommen, habe ich ein Problem. Es ist deutlich leichter, alle Küchen der Welt zu probieren. Auch bei der Frage nach der guten oder der besten Küchen nennen meine Studenten nie die deutsche. Auf die gleiche Frage gäbe es in Italien nur eine Antwort – jene der eigenen Mama. Selbst in Österreich wäre das kaum anders. Doch bei uns genießt die eigene Küche kein Ansehen mehr. Man staunt, aber die gegrillte Schweinshaxe wird rund um die Welt gerne gegessen. Nur wir Deutschen selbst, die Bayern natürlich ausgenommen, wenden uns von unseren eigenen, lokalen Esstraditionen zunehmend ab.“

Wer ist für Sie ein Globalisierungsgewinner?
„Da gibt es einige, darunter fraglos auch die thailändische Küche. Für mich hat besonders auch die italienische unglaublich an Profil gewonnen. Noch in der Zeit des 2. Weltkriegs soll es selbst in Paris unmöglich gewesen sein, Italienisch zu essen. Heute wird die italienische Kochkunst auf der ganzen Welt bewundert: egal ob günstige Pizzeria oder Fine Dining. Noch vor Jahren waren gute italienische Weine weitgehend unbekannt. Heute werden Sie auf Augenhöhe mit den Weinen Frankreichs gehandelt. Und wer würde glauben, dass Olivenöl viele Jahre bis in die Nachkriegszeit hinein als Abführmittel galt, zu beziehen vor allem in der Apotheke?“

Herr Trenk, Sie haben schon ziemlich viel auf der Welt ausprobiert. Gibt es noch irgendetwas was Sie wirklich ekelt?
„Jeder Mensch hat individuelle Vorlieben und Abneigungen. Diese haben zunächst einmal nichts mit der Kultur zu tun, aus der man kommt. Es handelt sich um individuelle Meidungen, nicht um kollektive Nahrungstabus. Ich bin auf dem Balkan groß geworden, dort isst man mit Vorliebe rohe Zwiebel. Doch bei mir führen rohe Zwiebeln quasi zu allergischen Gegenreaktionen. Außerdem bin ich kein großer Freund von Insekten. In Thailand werden die Krabbeltiere gewöhnlich in Öl frittiert, dadurch haben sie einen Chips ähnlichen Charakter – bloß sind Kartoffelchips nicht mein Ding. Und selbstverständlich scheue ich fade Hühnerbrust, wie der Teufel das Weihwasser!“

Marin Trenk ist Professor für Ethnologie an der Johann Wolfgang von Goethe-Universität Frankfurt. Er arbeitet über das indianische Nordamerika und Thailand. Sein Forschungsschwerpunkt ist die Kulinarische Ethnologie. Anfang des Jahres erscheint sein neues Buch „Döner Hawaii – unser globalisiertes Essen“.

Eine gekürzte Version dieses Artikels erschien zuerst in der Printausgabe 19/2014 des Journal Frankfurt. Hier können Sie ein Abo abschließen.
 
13. Oktober 2014, 13.24 Uhr
Vera Kuchler
 
 
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