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Foto: Barbara Eckholdt / pixelio
Foto: Barbara Eckholdt / pixelio

Fastnacht und Fasten

Wer A sagt muss auch B sagen?

Die einen feiern Fassenacht, ohne hinterher zu fasten, die anderen darben so gern, dass sie nicht nur manches Lebensmittel streichen, sondern den Karneval gleich mit. Nur Fastnachter, die hinterher auch fasten, werden immer seltener.
Als Kind wäre mir nie in den Sinn gekommen, dass Fastnacht oder Fasching ein Fest sein könnte, dass nicht nur für die Kleinen war. All die Kostüme, die Clowns, Ritter und Prinzessinnen, die Bonbons und süßen Kreppel, Luftschlangen und das bunte Konfetti – diesen ganzen Spaß musste sich ein echter Kindernarr ausgedacht haben!

Wie hätte ich es auch besser wissen sollen? Mein Vater kam aus Berlin, einer der preußischsten Städte überhaupt. Zu erwarten, dass er mir die Geschichte des närrischen Brauchtums oder gar seine religiösen Ursprünge erklärt hätte, wäre schlichtweg zu viel verlangt gewesen und seine eigene Verkleidung, wenn wir sonntags zum großen Fastnachtsumzug in der Innenstadt gingen, belief sich meist auf einen abgegriffenen braunen Cowboyhut, während mir jedes Jahr ein neues farbenfrohes Kostüm zuteil wurde. Natürlich war Fasching nur für die Kinder da!

Doch es sollte ein böses Erwachen für mich geben. Ich war vierzehn, als die Eltern einer Freundin unsere ganze Clique einluden, mit auf eine Fastnachtssitzung in Praunheim zu gehen. Nicht nur, dass ich fand, ich selbst sei schon zu alt für diesen Quatsch – ich begriff auch nicht, wieso sich unsere erwachsenen Begleitpersonen von oben bis unten kostümiert hatten und komplett aus dem Häuschen waren.

Als wir den Festsaal betraten, erlitt ich einen wahren Kulturschock: Kinder? Kein einziges! Stattdessen erwachsene Männer und Frauen, verkleidet als Matrosen, Plüschkaninchen, Teufelchen und Piraten, schunkelnd, singend, zu späterer Stunde sogar torkelnd und lallend, zu hunderten auf einem Fleck versammelt. Es war kein schöner Anblick!
Doch nichts von all dem blieb mir als so düster und widerwertig in
Erinnerung, wie der volltrunkene Leichtmatrose in mittleren Jahren, mit Bierbauch und Brezelkrümeln im Schnauzbart, der sich immer wieder an unseren Tisch heranschlich und offensichtlich viel zu blau war um zu bemerken, dass er gerade versuchte, Minderjährige ins Bett zu kriegen. Fastnacht, diese Chose war für mich passé!

Jahre später sollte ich dem Narrentum eine zweite Chance geben. Doch nun auf einer völlig anderen Ebene, nämlich durch das Studium mittelalterlicher Texte, die sich mit dem Karneval auseinandersetzten. Und diesmal löste der Karneval nicht nur Abscheu in mir aus, denn ich musste erkennen, dass er mehr war, als nur eine faule Ausrede für einen Vollrausch.
Er war die Zeit, in der der Mensch aus der Ordnung ausbrechen, die Welt aus einem anderen Blickwinkel betrachten, Standesgrenzen überschreiten und die Obrigkeit, ja sogar den Tod selbst verhöhnen konnte. Es war die Zeit des Chaos, die Zeit des Wahnsinns, die Zeit der Herrschaft des Grotesken, die Zeit, die jede Ordnung in Frage stellte – sei es nur, um sie später wieder umso heftiger bejahen zu können.

Der Karneval verstand die Welt in Antagonismen, und so wie sich Schatten zu Licht und Tod zu Leben verhielt, so verhielt sich der Karneval zur sozialen und religiösen Ordnung. Er zerbrach sie und erhöhte sie zugleich. Denn was dem Narrentum folgte, war die Fastenzeit, eine Zeit der puren Selbstbeherrschung für alle. Der frühere Karneval war die letzte große Ausschweifung, ein mächtiges Sich-Aufbäumen des Volkes, bevor es sich bereitwillig dem Verzicht übergab und die vorösterliche Fastenzeit beging.
Und da wusste ich, was die meisten modernen Fastnachter von denen aus früherer Zeit unterschied. Denn während die einen Ausschweifungen feierten in dem Bewusstsein, dass sie in den nächsten Wochen auf vieles verzichten mussten, so feierten die anderen nur noch um des Feierns willen. Und statt sich über die Ordnung, die Kirche oder die herrschende Klasse lustig zu machen, machten die meisten nur noch sich selbst lächerlich. Für sie war Fastnacht kaum mehr als das Oktoberfest oder ein Besuch in der Dorfdiskothek.

Dabei gibt es noch Menschen, die die Zeit vor Ostern nutzen, um sich im Verzicht zu üben. Denn während die meisten Jecken sich noch den Kopf zerbrechen, welches Kostüm sie an Rosenmontag tragen wollen, überlegen die Asketen des Landes, was sie in diesem Jahr wohl fasten sollten. Die Resultate sind unterschiedlich: Klassiker wie der Verzicht auf Alkohol, Süßspeisen oder Fleisch sind genauso dabei, wie die Facebook-Abstinenz oder das Shop-Stop-Gelöbnis. Nur, dass jemand beide Seiten des Brauchtums pflegt, Fastnacht feiert und hinterher tatsächlich auch fastet, das hört man immer seltener. Aber warum eigentlich? Spätestens beim Anblick der Mainzer Ranzengarde sollte doch klar werden, dass dem einen oder anderen Narren ein bisschen Verzicht ganz gut zu Gesicht stünde.
 
23. Februar 2017, 17.00 Uhr
Henriette Nebling
 
 
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